Zu Hause sein
Zu Hause zu sein, eine Heimat zu haben, verwurzelt zu sein. Nicht vieles wird in unserem Gespräch mit der Künstlerin Elisa Hudej öfters thematisiert, als dieses große Gefühl des Verbundenseins.
Doch was ist das wahre „Zuhause“? Fragt man die Wissenschaft, so bezeichnet diese einen Ort, an dem man ein Grundgefühl von Geborgenheit spürt. Die Verbindung von räumlicher und sozialer Sicherheit. Zuhause sind Orte, mit denen uns emotional etwas verbindet: Der Ort, an dem wir aufgewachsen sind oder an dem wir unsere eigene Familie gründen. Da, wo man seinen ersten Kuss bekommen hat oder viele Personen kennt, die einem wichtig sind. Das, und nichts weniger, ist für Elisa Hudej ganz wichtig, wenn sie sich vor eine leere Leinwand setzt. Zum einen verschmilzt sie in ihrer Arbeit mit der Arbeitsoberfläche und lebt sich in ihren Bildern aus. Zum anderen sucht sie die Verbindung zu den Räumen, in denen ihre Bilder später einmal hängen werden.
Elisa, schon von Kind an warst du künstlerisch aktiv. Wie hast du den Weg zur Malerei gefunden?
Kunst in all ihren Facetten hat mich stets begleitet. Begonnen habe ich mit dem Musizieren sowie dem Theaterspielen. Ich genoß diesen Trancezustand den ich auf der Bühne erlangte und liebte es, mich über Bewegung, Sprache und Tanz auszudrücken. Was mir immer gefallen hat war die Buntheit der Bühnenbilder. Freude hatte ich, als ich bemerkte, wie man mit kreativen Visualisierungen Bildwelten schaffen kann, in den diese ganzen Geschichten spielen. Ich denke, dass ich auch heute noch – beim Malen – nichts anderes tue, als Geschichten in eine haptische Form zu bringen. Ich wechselte von der Bühne in mein kleines Atelier, das es ja zum damaligen Zeitpunkt noch nicht in dieser schönen Form gab, wie ich es heute mein Eigen nennen kann. Vielmehr war die Leinwand mein künstlerisches Zuhause. Hier kam ich an und ging erst wieder, wenn ich das Gefühl hatte, mein Werk verrichtet zu haben. Ich habe schon sehr früh für mich entdeckt, dass ich beim Malen durch eine virtuelle Tür in eine bunte Welt eintrete, in der ich dann einfach ICH sein kann. Dafür bedarf es keines eigenen Raums oder Ateliers, sondern eigentlich nur der Staffelei und der Farben.
Du bist in deinen Bildern zu Hause. Wo würdest du aber deine Heimat sehen?
Ich habe in Wien Publizistik, Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert. Damals war Wien meine Heimat, geboren bin ich in Graz. Dennoch habe ich gespürt, dass ich auch andere Einflüsse brauche. Einflüsse von außen, die durch eine Landschaft und das Wasser geprägt sind. Und so lebte und arbeitete ich zu Beginn meiner künstlerischen Tätigkeit in der Toskana. Dieser Landstrich in Italien ist ja bekannt für seine einzigartige Landschaft, unsagbar vielfältiges Licht, aber vor allem auch für die Lebensleichtigkeit der Bewohner, die sich schnell auf die Besucher überträgt. Italien hat mich überhaupt ganz besonders in seinen Bann gezogen: Ich liebe es, an einem herrlichen Frühlingstag in Rom in einem Kaffeehaus zu sitzen und die Menschen zu beobachten. Ich unternehme auch heute noch regelmäßig Reisen in dieses wundervolle Land. Bei der Frage nach meiner Heimat kann ich nur sagen: aktuell arbeite ich als bildende Künstlerin in Wien und Klagenfurt am Wörthersee. Es ist diese Mischung, mit der ich gut zurechtkomme. Wien, dieses riesengroße Museum in Form einer Stadt, aufgeladen mit der Geschichte aus vielen Epochen- groß, kraftvoll, episch. Und dann Klagenfurt am Wörthersee, wo ich mit meinem Mann und meinen beiden kleinen Kindern ein zweites Zuhause gefunden habe. Diese kleine Renaissancestadt, das Tor zum Süden. Das Portal zu einem ganz speziellen Kulturkreis, gemischt aus Alpenromantik und Adriaflair. Hier wird wirklich mit einer ganz anderen Leichtigkeit, um nicht zu sagen Gelassenheit, gelebt. Vielleicht inspiriert mich hier die Weite der Natur, die Milde des Klimas und eben die Nähe zu meinem Italien.
Lass uns ein wenig etwas erfahren zu deiner Arbeitsweise. Was inspiriert dich?
Mein künstlerisches Konzept beschreibe ich an der Schnittstelle zwischen figurativer und abstrakter Kunst. Bei den Materialien bevorzuge ich Acryl, Kreide aber auch Öl, das ich am liebsten auf Leinwände bringe. Aus handwerklicher Sicht unterteilt sich mein Schaffen in drei unterschiedliche, wenngleich auch aufeinanderfolgende Arbeitsphasen: In der ersten Phase erfolgt eine Auswahl der dominierenden Farbkomponenten. Hier muss ich spüren, welche der Farben mich für dieses geplante Werk am meisten vereinnahmen werden. Darauf aufbauend eröffnen sich in der zweiten Phase Figuren und Formarbeit. Ich liebe das feingliedrige, die Akzentuierung und die Struktur, dieses Spiel, das durch das Auftragen von Farbe entstehen kann. Final, für die symbolische Darstellung wird im dritten und letzten Abschnitt durch die detaillierte Feinarbeit das ganze Werk abgerundet. Ich kann meine Arbeitsweise oft auch einfach nur so erklären: Farbschwerpunkte, Figuren und Formen „entbegrifflichen“ Bekanntes und Vertrautes. Ein Bild lässt so viele Perspektiven in der Betrachtung zu. Zum Beispiel ein Kreis: er löst sich von der Definition bloß ein Kreis zu sein. Dem Betrachter obliegt die Freiheit der Entschlüsselung dieser symbolischen Darstellung.
Was mir nun eine schöne Überleitung zu meiner nächsten Frage bietet: Setzt du dich auch inhaltlich mit deinen Werken auseinander? Stecken Botschaften hinter deinen Bildern?
Ganz klar, JA! Meine Werke sind inspiriert durch kommunikationswissenschaftliche Fragestellungen. Das hat mit meiner künstlerischen Herkunft zu tun. Meine Bilder sind immer stark geprägt durch die Auseinandersetzung und die Faszination mit dem und für das Theater, von dem ich komme. Dazu kommen Fragen des persönlichen, ästhetischen Geschmacks besonders in Bezug auf die Herstellung eines sozialen ‚Heimat‘-Raums: eines Zuhauses. Wird das Bild, das ich gerade schaffe, an dem ausgewählten Platz auch sein Zuhause finden? Das klingt jetzt seltsam, doch spiegelt sich alles wider in diesem großen Begriff des „Zuhauseseins“. Das gilt für den Künstler, das Bild, den Betrachter, aber auch den neuen Standort, den dieses Bild einmal bekommen wird. Seit einigen Jahren beschäftige ich mich auch intensiv mit dem menschlichen Zyklus: Fragen um Leben und Tod, Fruchtbarkeit und Unvollkommenheit stehen im Mittelpunkt meines Schaffens – der menschliche Lebenszyklus erfährt eine akribische Zerlegung in der Darstellung.
Wo konnte, bzw. kann man deine Bilder sehen?
In erster Linie immer in meinem Atelier im Stadtzentrum von Klagenfurt. Hier in diesem imposanten Altbau, mit Gewölben und dicken Mauern kann man schon auch viel Verwurzeltes spüren. Ich merke, dass ich langsam anfange, hier wirklich meine künstlerische Heimat zu begreifen. Einige meiner Bilder haben ihre Reise schon angetreten. Zum einen hatte ich Ausstellungen in Rom, Siena, Wien und Graz. Dort gab es Interessenten und Käufer, daher kann gut und gerne passieren, dass man an diesen Orten auf meine Werke trifft. Hoffentlich bald auch in NYC, Shanghai und Paris.
Du übernimmst auch Auftragswerke?
Es ist mir eine große Ehre, Auftragswerke zu übernehmen. Um einen Anzug oder ein Kostüm perfekt anzupassen, braucht es Zeit, um genau Maß zu nehmen. Ich nehme mir gerne die Zeit, um ein Bild für einen/eine Auftraggeber/in zu schaffen. Ich finde diesen Prozess mit all seinen Herausforderungen spannend, die aus den Erwartungen meiner Auftraggeber abgeleitet werden. Schließlich geht es darum, meine Bilder im Zuhause (oder auch im Büro oder anderen Arbeits- und Lebensräumen) so zu integrieren, dass sie den Raum aufwerten. Dass sie eins werden mit der Umgebung und so wiederum zum bildhaften Zuhause des/der Betrachters/in. Mir gefällt es, meine Kundinnen und Kunden davor persönlich kennenzulernen. Im Erstgespräch erfährt man viel über den Geschmack und die Lebenswelten des Gegenübers. Es bedeutet mir viel, mit Eigentümern dieser leeren Wände ins Gespräch zu kommen und gemeinsam herauszufinden, welche Geschichte diese Wand erzählen soll. Denn schließlich ist das Zuhause für jeden ein Ort, an dem man selbst, seine Familie und auch die Besucher spüren sollen, wer hier lebt und wie er lebt. Es macht mir Freude, wenn meine Bilder mit dieser Lebenswelt verschmelzen oder ein Teil davon werden.
Abschließend. Gibt es eine philosophische Grundlage in deiner Malerei?
Meine Bilder sollen der Betrachterin oder dem Betrachter die Möglichkeit geben, in andere Perspektiven einzutauchen. Denn Farben, Figuren und Formen werden so zu Grundlagen für eine ganz spezielle Form von meditativer Betrachtung. Wenn aus einer unkonventionellen Form auf einmal etwas Vertrautes entsteht, dann sind wir wieder bei diesem Begriff des zuhause Ankommens. Wenn diese Verbindung entsteht, dann wird man sich diesem Bild nicht mehr entziehen können. Man wird über dieses Bild in einen inneren Dialog treten – über Fiktion und Realität, Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Man tritt in einen Dialog mit sich selbst. Ich denke „Kunst erschafft Erinnerungen.“ Egal, welche Themen, Formen, Farben ich in meinen Bildern darstelle: Die Geschichte des Bildes liegt natürlich im Auge des Betrachters. Sie transkribieren meine Kunst durch ihren eigenen reichen Erfahrungsschatz in ihr Bewusstsein. „Wenn ich male, existiert bloß der Moment an sich. Kein Geschehen wird in Relation zueinander gebracht.“
Das Interview führte Mario Schönherr. (marioschoenherr.com)